Neue Erkenntnisse

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Im Licht der Abenddämmerung erreichen wir das Dorf.  Einige Hütten stehen rechts und links von uns. Schaut man geradeaus die Straße hinunter, kann man das Baugerüst des Tempels erkennen. Wir folgen dem Verlorenen und gelangen so zu der kleinen Hütte, die übergangsweise dem Pesar als Zuhause dient. Zwar sollte der Tempel schon vor einiger Zeit fertig gebaut sein und mit ihm auch die Kammer des Pesars, doch aufgrund mystischer Umstände waren viele der Baumeister beim Errichten des Gebäudes ums Leben gekommen und die Bauzeit zog sich nun immer länger hin. "Sag mal.", sagen wir zum Verlorenen. "Wie kommt es eigentlich dazu, dass du uns dem Pesaren auslieferst? Du musst das doch nicht tun." Der Verlorene bleibt wie angewurzelt stehen. Ernst blickt er uns an. "Von ausliefern kann nicht die Rede sein. Ich werde dir beistehen, doch eine Klärung der Angelegenheit ist ohne Zweifel nötig. Außerdem interessiert es mich, was der verrückte Kapitän von dir will." Wir nicken nachdenklich. Womöglich hat er Recht. Da klopft der Verlorene auch schon an die Tür des Pesaren. Nur wenige Augenblicke später öffnet ein alter Mann die Tür.
"Du bist gekommen. Was für ein Glück!", ruft eine kratzige Stimme. Einer hektischen Handbewegung folgend treten wir in die kleine Hütte ein und setzen uns dem Greis gegenüber auf eine Bank. Der Verlorene bleibt neben der Tür stehen.
"Ich bin Theo", krächzt der alte Mann.
"Wir sind...", wollen wir anfangen, doch Theo unterbricht uns. "Selbstverständlich weiß ich wer du bist. Ich hoffe es hat dir keine größeren Umstände bereitet, dass ich ein Kopfgeld auf dich ausgesetzt habe." - "Ein Kopfgeld?", rufen wir empört und blicken zum Verlorenen hinüber, der betreten den Kopf hängen lässt. Als wir aufspringen wollen um den Verräter von einem Freund zu zeigen was es heißt sich mit uns anzulegen, packt uns eine kräftige Hand am Ärmel. Wir sind etwas erschrocken, als wir bemerken, über wieviel Kraft der klapprig aussehende alte Mann noch verfügt. "Bitte bleib sitzen. Es eilt und auch wenn du enttäuscht von deinem Gefährten bist, hat das, was ich dir erzählen möchte oberste Priorität." Wir geben uns geschlagen, vorerst. "Bitte sprich."

"Nun gut. Vor einigen Tagen ist Kapitän Graepäls mit der Yara hier gelandet. Er versetzte die Menschen in Aufregung und erzählte jedem der es hören wollte davon, dass du mit einem Ruderboot und mitten auf dem Meer an seinem Schiff anlegtest. Er redete davon, dass du von einer Person sprachst und von Meeresvipern. Und davon, dass er sie gefunden hätte. In dieser Angelegenheit wollte er dich sprechen. Ich habe keinen blassen Schimmer was er von dir möchte, doch zum Schutz aller Menschen, deren Vorratslager geplündert werden, da sie wie jeder auf dieser Insel wehrlos sind, habe ich ein Kopfgeld ausgesetzt, für den der dich findet und lebendig zu mir bringt. Letztendlich hat das wohl auch Erfolg gehabt. Gewiss fragst du dich, warum ein Pesar ein Kopfgeld auf jemanden aussetzt, wo es doch gegen alle Regeln ist und diese Frage stellte ich mir auch. Doch zum Schutz der Menschen hier ist es wohl vonnöten derartige Verbrechen zu begehen. Ich habe erzählt ich wüsste du seist in den Bergen und ich müsste dich prüfen, doch ich wusste nur aus den Geschichten von Kapitän Graepäls, wo du dich aufhalten solltest und ich brauchte wohl als Pesar eine Ausrede dafür, eine Tat wie das Aussetzen eines Kopfgeldes zu rechtfertigen. G'sounkh vergebe mir. Dass du starbst und wiedergeboren wurdest oder vom Meer ausgespuckt, konnte ich dem Piraten nicht glauben, auch wenn unter den besonders konservativen Anhängern des G'sounkh eine Geschichte erzählt wird, die gewisse Parallelen zu der deinen aufweisen."

Gelegentlich nicken wir mit dem Kopf, als wir Theos Ausführungen folgen. Wir sind erleichtert, dass uns keine wirkliche Prüfung bevorsteht, doch der Verrat des Verlorenen sticht schwer im Herzen.  Außerdem sind wir uns sicher, dass wir dem Verlorenen seine Geschichte ohne den Einfluss der Ahayuska-Pflanze nicht geglaubt hätten und ihm nicht so leichtfertig zurück ins Dorf gefolgt wären. Wir stellen sogar jetzt fest, dass wir immer noch einen Hauch der hallozinogenen Wirkung spüren. Nach einer Weile, in der wir versuchen uns zu beruhigen und die Dinge so wie sie sind zu akzeptieren, kommt uns die spannende Frage in den Sinn, was Käpt'n Graepäls von uns möchte und ob er die Versunkene tatsächlich gefunden hat. /

"Willkomm'n an Bord!", brüllt uns der Kapitän an, als wir nach Absprache mit einem Piraten seine Kajüte betreten. "Hallo.", antworten wir schüchtern. Wir erinnern uns an unser letztes Treffen und die Folgen haben wir noch gut im Gedächtnis. "Ich muss E'nschuldigung sag'n.", fängt Käpt'n Graepäls an. "Hab gedacht du bist irre und laberst nur rum, bist aber nur irre." Unsere Augen weiten sich. Er muss die Versunkene tatsächlich gefunden haben. "Habt Ihr sie gefunden?", flüstern wir verschwörerisch. "Jepp!", antwortet der Piratenkapitän lachend. "Gunther, bring ma' das Schlangnweib." Breit grinst er uns an. "Sagt mal.", fangen wir an. "wenn ihr sie gefunden habt... wie konntet ihr uns dann hier finden und was wollt ihr von uns?" Käpt'n Graepäls beginnt daraufhin mit einem scher verständlichen Monolog:

"Siss so: Die Hexe ham wa ausm Wasser geholt, da warste grade untergangn. Hab zugeschaut wie der Hai dein Bein gefressn hat und da habsch gedacht du bist dot. Nu hat das Mädel, an der nochn Paar Schlangn geklebt ham, gesacht, dass Magie im Spiel wär undsch habs ne geglobt, iss ja irre wie der grade, habsch gedacht. Nur hatteste ja recht mit ihr und da dachtsch vielleicht hattse auch recht. Habse reden lassn und ne dem Hai zum mampfen gegebn und des war gut, dennse hatte recht."

Wir bemerken, dass der Kapitän umso undeutlicher redet, je länger er am sprechen ist und wollen gerade hoffen, dass es bald ein Ende hat, als Gunther die Tür öffnet. "Hier ist das Mädel.", ruft er und stößt die Versunkene hinein. "Da isse ja.", sagt Käpt'n Graepäls und blickt zu ihr hinüber. "Erklärste unsrem Gast wieso wir ihm brauchn?", fragt er und die Versunkene nickt.

"Es gab einige großen Zauberer. Sie konnten Menschen verschwinden und auftauchen lassen, damals vor vielen Jahren. Zwar sind sie tot, doch einige Dinge haben sie mit Zaubern belegt. Mit mächtigen Zaubern und einer davon liegt auf dem Schatz der Ersten. Ich habe es alles gesehen, auf der anderen Seite des Portals, hoch oben in den Türmen von Maĩkon*, dort wo man mich das Sehen lernte. Und ich sah auch dich, wie du den Schatz berührtest und hinweggezogen wurdest, zurück zur Insel. Ich habe es auch dem Kapitän dieses Schiffes erzählt und gesagt, du könntest ihm zeigen wo der Schatz liegt, mit meiner Hilfe."

Zuerst sind wir erschüttert. Wir erklären, dass wir nichts wissen, wollen diese Erklärung nicht wahrhaben und versuchen uns selbst davon zu überzeugen, dass es eine logische Erklärung, die nichts mit „Magie“ zu tun hat geben muss, doch wir müssen es einsehen. Entweder dies ist die Realität oder wie träumen. Doch nach einiger Zeit geben wir uns geschlagen. Nur die Frage, wie wie auf dem Meer, welches überall gleich aussieht die Stelle finden sollen, an der laut der Versunkenen ein Schatz liegt, bleibt. Mit dem Kapitän vereinbaren wir, am nächsten Tag in See zu stechen. Dann machen wir uns auf den Weg zu einem alten Bekannten. //  

Als unsere Fingerknöchel gegen die schwere Holztür schlagen, hören wir es beinahe sofort von drinnen rumpeln. Einen Moment später öffnet uns ein griesgrämig dreinblickender Pirat. "Komm rein.", murmelt er in seinen fransigen Bart und wir folgen seiner Aufforderung. Drinnen setzen wir uns ihm gegenüber in einen alten Lehnsessel. "Wo ist mein Boot?", fragt er. "Wir haben es verloren.", antworten wir. "Ich will ein neues.", flüstert er und trommelt mit den Fingern auf dem Tisch. Erst jetzt bemerken wir den Dolch, der dort griffbereit neben ihm liegt. "Du wirst eines bekommen.", antworten wir schnell, woraufhin sich ein breites Grinsen auf seinem Gesicht ausbreitet. "Ich habe gehört, du stichst in See?" Wir nicken. "Deshalb sind wir hier." Der Pirat nickt ebenfalls. "Ich möchte mit auf die Yara, so eine Gelegenheit bietet sich nicht oft." Bald darauf verlassen wir erleichtert die Hütte des mürrischen Seemannes und sind nicht mehr ganz so ägnstlich, wenn wir an den nächsten Tag denken. Den Rest des Tages verbringen wir damit, Dinge in einen alten Seesack zu stopfen und wieder auszusortieren.

* siehe Bibliothek