Unendliche Dunkelheit

Man will es nicht wahrhaben, dass dort tief in unserem Inneren nichts ist. Liebe, übermächtige Kräfte, unglaubliche Intelligenz. Irgendwas vermuten wir dort in der Stille unseres Bewusstseins. Natürlich versuchen wir nie nachzusehen, denn was wären wir ohne das letzte bisschen Unwissen über uns selbst. Was wären wir, wenn wir herausfänden, was dort wirklich ist? Tatsache ist: Wir wären nichts. Denn genau das stellen wir fest, als die Rauchschwaden über uns langsam noch dunkler werden und in ewigen Spiralen um uns kreisen. Mit einem Mal ist alles schwarz - wenn man es so nennen kann - und wir verschwinden genau wie unsere Umgebung. Langsam verblassen wir, unsere Gedanken werden Träge und das Einzige was am Ende noch übrig ist, ist ein Hauch von Verwunderung, darüber, dass wir letztendlich Nichts sind. - Derartige Gedanken kommen uns in den Sinn, als es plötzlich wie auf ein heimliches Kommando stockfinster um uns wird. Eigentlich ist es offensichtlich, dass es sich bei diesen Gedanken ausschließlich um das Produkt unseres verwirrten Geistes handelt. Wenn wir uns tatsächlich urplötzlich in Nichts verwandelt hätten, würden wir auch nicht denken können, somit muss irgendetwas anderes geschehen sein. "...Hallo?", fragen wir unsicher in die Stille hinein und warten, bis das Wort von der Dunkelheit verschluckt wird. "Ist da irgendwer?" Ein Zittern ergreift uns. Kein ängstliches Zittern, sondern eines, wie man es bei einem leichten Erdbeben verspürt. Für einen kurzen Moment verliert man den Halt, nur um ihn wiederzugewinnen, noch bevor man das Gleichgewicht verliert. Dann taucht wie aus dem nichts ein schwaches bläuliches Leuchten auf. Untermalt wird diese mysteriöse Erscheinung von einem dramatischen Zischen. Dann... "Plop!" - Da schwebt ein kleiner blauer Stein vor uns in der Finsternis. Wir kennen ihn. "Ähm...", beginnen wir unseren Satz, "Kannst du uns verstehen?". Es dauert einige Sekunden, bis der Stein auf unsere Frage reagiert. Er spricht nicht, macht keine Geräusche und leuchtet auch nicht heller. Er verformt sich. Nach und nach wird ein Gesicht erkennbar, es wird immer größer uns größer um dann vor unseren Augen seine fertige Gestalt zu präsentieren. Eine junge Frau blinzelt kurz mit den Wimpern um uns dann genauer zu betrachten. "Was schaut ihr so bang - ihr kleinen Gesichter?", flüstert eine Stimme direkt in unser Ohr. Wir drehen uns kurz zur Seite, doch dort ist nichts. "Bist das du?", fragen wir verängstigt. "Wer sollte es sonst sein, außer mir?", flüstert es nun auf der anderen Seite. 
(c) Finn Svenson


Unschöne Wendungen

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Ergebnis: Zu den Türmen! (1/1 Stimmen)

Noch bevor das Morgenrot verblasst machen wir uns auf den Weg. Zwar liegen unsere beiden Gefährten noch im tiefen Schlaf und von Erkim ist keine Spur zu sehen, doch wir wollen nicht warten. Überhaupt ist es schwer nachzuvollziehen, dass unsere Begleiter immer noch an Bord sind, obwohl das lang ersehnte Ziel unserer Reise doch nun endlich erreicht ist. Staunend schlendern wir durch Gassen, über Plätze und balancieren über provisorische Brücken. Ein Stück weit lassen wir uns von einem der Flöße mitnehmen. Ein Mann der darauf als Packer arbeitet erklärt uns, dass eine riesige Maschine die Flöße zu einer ganz bestimmten Uhrzeit hierhin oder dorthin zieht. Als wir ihn fragen, ob er uns die Leuchterscheinung in der letzten Nacht erklären könne reagiert er nicht. Etwa zwei Stunden später erreichen wir einen riesigen Marktplatz. Er erstreckt sich über mehrere besonders große Flöße. Es müssen über tausend Stände auf der riesigen Fläche verteilt sein, denken wir und atmen den himmlischen Duft ein, der über den Flößen schwebt. Wir hören fröhliche Menschen miteinander reden, bemerken das ferne Schreien der Sturmtaucher* und wollen schon beinahe unser eigentliches Ziel vergessen und lieber über den Marktplatz schlendern, da beginnen die Flöße zu beben. Immer stärker vibrieren die Holzplanken und ein lautes Summen breitet sich aus. Dann hören wir die Schüsse./

Einige Stunden zuvor...

Das Klatschen von nackten Füßen auf blanken Dielen ertönt im obersten Stockwerk des einen Turmes. Eine dürre Gestalt wirft einen Blick aus dem Fenster des 12. Stockwerks. "Heute ist einer von den Tagen, an denen die Zeit langsamer vergeht.", flüstert der knochige Alte müde. Er setzt sich an einen klobigen Schreibtisch, auf welchem sich Papierberge stapeln. Kein einziges Blatt ist unbeschrieben, manche Blätter zeigen außerdem noch Zeichnungen. "Jaja... blaue Blitze und Donner. Es ist schon bald soweit. Wenn sich die große Maschine überanstrengt muss gehandelt werden...", murmelt der der Mann.Dann schreibt er mit einer zitternden Hand ein paar Wort auf einen Zettel. "Dass ich auch immer fragen muss, wenn ich den Schlüssel verwende...", schimpft er. Da wird mit einem Mal die Tür hinter ihm aufgerissen. Beinahe fällt der Alte vom Stuhl, doch er kann gerade noch nach der Tischkante greifen. "Wer bist du, was willst du?", kreischt er erschrocken. Als er sich umdreht, bemerkt er eine Gestalt. In einen schlammig grünen Umhang gehüllt steht sie vor ihm. Er versucht im Schatten der Kapuze ein Gesicht auszumachen, doch dieses wird von einer Maske verdeckt. "Gib mir den Schlüssel.", zischt die Gestalt. "Niemals!", ruft der Alte und greift nach einem kleinen glänzenden Gegenstand. Mit einem Schritt ist der Maskierte bei ihm und entreißt ihm den Schlüssel. Der Bestohlene weicht einige Schritte zurück und findet sich vor dem Fenster wieder.

(c) Finn Svenson

































Einige Stockwerke tiefer, schlägt kurz darauf ein lebloser Körper auf. "Jetzt fehlt mir nur noch der kleine Rotzbengel.", kichert der Vermummte, als der magische Strom in seine Handfläche zurückkehrt. Breit grinsend betrachtet er den kleinen Schlüssel. Ein kleiner blauer Edelstein ist in ihm eingefasst, an einer anderen Stelle scheint ein Stein zu fehlen. "Bald schon werde ich der Herrscher sein!", lacht er lauthals und blickt aus dem großen Loch in der Wand hinunter auf die Stadt.//

Einige Stunden später, nahe des Marktplatzes...

Unter die Schüsse mischen sich laute Hilfeschreie, von denen einige jäh unterbrochen werden. Erschrocken weichen wir einige Schritte zurück. Was geht hier vor? Wir werfen einen Blick hinter unsere Schulter und wollen gerade umdrehen, zum Schiff zurückkehren und Verstärkung holen, da packt uns eine seltsame Wut. Eine Wut über unsere Feigheit. Verstärkung holen? - Flüchten! Eines steht fest, nichts brennt stärker als der Hass, den man sich selbst entgegenbringen kann. Und wie um uns zu beweisen, dass wir nicht das sind auf was wir da wütend sind, stürmen wir los und werden zu etwas, was wir noch nie waren. Etwas Größeres und Stärkeres. Mit einem mal fühlen wir uns riesig groß. Glauben Marktstände zu zertrampeln und Kanäle zu überspringen auf unserem Weg. Dann erreichen wir die andere Seite des Marktplatzes. In einer von Rauchschwaden verdunkelten Gasse steht eine ummantelte Gestalt und schießt Lichtblitze in alle möglichen Richtungen. "Hahaha! Ihr versteckt den Knirps. Den kleinen frechen Knilch.", lacht die Gestalt wahnsinnig. "Ich will ihm doch nichts tun! Ich lasse ihn am Leben, hahaha!" Uns läuft es kalt den Rücken herunter. Wie wollen wir es nur mit einem magischen Geschöpf dieses Kalibers aufnehmen? "Oooooh, was für ein Held! Jetzt hab' ich Angst...", kichert die Gestalt nun und feuert uns einen Lichtblitz entgegen. Im letzten Moment werfen wir uns in einen Hauseingang. "Wo ist denn der Held? Hat er sich versteckt? Ich kann ihn im Dunkel nicht sehen.", die offensichtlich verrückte Gestalt verliert jedoch recht schnell wieder die Lust daran uns zu suchen. Stattdessen bekommt sie es langsam mit der Wut zu tun. "Woooo ist der Junge? Bringt ihn mir!", krakeelt er und wirft einen roten Feuerball in eine Hauswand, die sofort in sich zusammenbricht. Da geht plötzlich hinter uns die Tür auf. Ein kleiner Junge taucht im Türspalt auf und blickt uns mit großen Augen an. "Bitte hilf mir.", flüstert er. "Was können wir tun?", fragen wir vorsichtig. Doch er blickt mit seinen leuchtenden Augen an uns vorbei. Es ist ohne dass wir es bemerkten vollkommen still geworden. Wir drehen uns um und stellen fest, dass die Gestalt nur wenige Schritte entfernt steht. Mit zitternden Fingern drückt der Junge uns einen kleinen blauen Stein in die Hand. "Pass auf ihn auf. Mach, dass er ihn nicht kriegt!", flüstert er und rennt ins Haus zurück. Laut krachend fällt die Tür hinter ihm zu. Was für eine bescheuerte Idee, denken wir. Den Stein können wir jetzt nicht verteidigen. Vor allem nicht, wenn die Gestalt doch ganz eindeutig gesehen haben muss, dass wir ihn haben. Da spüren wir eine pulsierende Kraft, die von dem Stein auszugehen scheint. Während wir ihn vor das Gesicht heben um ihn genauer zu betrachten, entflammen die Handflächen der Gestalt. Es macht fast den Eindruck, als würden sich die Rauchschwaden zu ihm hinbewegen.
(c) Finn Svenson


Die schwimmende Stadt




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Als wir anlegen, verkriecht sich das letzte Licht irgendwo dort hinter den zahllosen Häusern Maĩkons. Ein kühler Abendwind streicht über uns hinweg, wirbelt den Rauch über den Schornsteinen umher um dann der Ruhe Platz zu machen. Es ist keine drückende Ruhe, keine die auf den Schultern lastet oder einem sogar das atmen erschwert, es ist eine angenehme Ruhe. Leise plätschert das Wasser unter den Flößen, manchmal fängt eines der Seile, die kreuz und quer über das Wasser gespannt sind an zu knarzen oder das Holz unter unseren Füßen knackt, doch dort ist kein Rauschen, kein Heulen, kein Brausen des Meeres. Wir hören keine Stimmen - nichts. Gerade fragen wir uns, ob die Stadt vielleicht unbewohnt ist, da kommt ein Mann auf uns zugeeilt. "Um die Uhrzeit ist das anlegen verboten.", sagt er ruhig. Wir werden wütend. Wie kann er es wagen? Wir sind den ganzen weiten Weg hierhergekommen und dürfen nicht anlegen, weil das am frühen Abend nicht genehmigt ist? Gerade wollen wir uns beschweren, doch da fügt er auch schon hinzu. "Ihr seht erschöpft aus. Ich mache mal eine Ausnahme. Für wie lange wollt ihr liegen?" Wir blicken zum Verschlossenen hinüber. "Erstmal für zwei Tage. Kann man hier Wachpersonal bekommen?" Der Mann, bei dem es sich offensichtlich um den Hafenmeister handelt wirft unserem Kapitän einen amüsierten Blick zu. "Darum musst du dich selbst kümmern. Für zwei Tage sind das genau 14 Runá." - "Runá?", antworten wir. Der Hafenmeister zuckt die Schultern. "Wir nehmen hier auch andere Währungsmittel. Womit wollt ihr bezahlen?" Nun drängelt sich Erkim zwischen uns hindurch. Er nimmt den etwas verwirrten Hafenmeister zur Seite und flüstert ihm ins Ohr, während er wild mit den Armen wackelt und mal hierhin und mal dorthin zeigt. Gelegentlich können wir Gesprächsfetzen wie "...wenn das so ist..." oder "...und der Kassenprüfer?..." aufschnappen. Dann drehen sich beide zu uns herum. "Es wird Zeit", sagt Erkim. "Wir sollten uns die Stadt ansehen!"/


Wir beschließen mit Erkim einen kleinen Rundgang zu machen, während der Verschlossene und die Versunkene schon zu Bett gehen. "Faule Säcke.", denken wir, als wir mit unserem Begleiter aufbrechen. Bald darauf haben wir zahlreiche Brücken überquert und beobachten das Geschehen. Einige wenige Menschen sind auf den Flößen unterwegs, die Erkim bereits erwähnt hatte. Sie bringen schwere Säcke und Kisten von einem Ort zum anderen. Oben in der Luft fliegen über unseren Köpfen Zeitungen hinweg, die mit Haken an Seilen befestigt sind. Diese wiederum sind kreuz und quer zwischen kleinen Türmen auf den Dächern der Häuser gespannt. Hier und dort hört man ein leises Klappern, wenn eine Zeitung durch eine kleine Luke in einem der Türmchen fällt. In einigen Fenstern brennt noch Licht, doch die Dunkelheit herrscht vor. Weit über uns ragen zwei Türme in den Himmel, die weit größer sind, als so ziemlich alles was wir bisher gesehen haben. Wir fragen uns, warum die Flöße unter ihnen nicht sinken und finden auf diese Frage keine Antwort. Als wir hinaufsehen kommt es uns so vor, als hinge der Mond genau zwischen den beiden Gebäuden fest. Es wirkt magisch und fantastisch. Da ist das Glitzern auf dem Wasser, das schwache Leuchten des Mondes, der schwankende Boden und das leise Zischen der fliegenden Zeitungen über uns. Wenn wir ganz genau hinhören, meinen wir ein leises Klicken zu hören. Staunend beobachten wir die Stadt, bemerken, dass jedes Haus einzigartig zu sein scheint. Nichts passt hier zusammen und genau das bildet einen atemberaubenden Gesamteindruck. Wir sind begeistert. Da meldet sich Erkim zu Wort. "Vielleicht sollten ihr euch für morgen eine genauere Besichtigung vornehmen. Ich muss heute Nacht noch etwas erledigen." Wir sind etwas enttäuscht, dass Erkim uns nichts zu den einzelnen Gebäuden und Plätzen erzählt, doch uns bedrückt schon seit einiger Zeit eine tiefe Müdigkeit. Also kehren wir um, nachdem Erkim sich mit mit den Worten "Auf bald du Lümmel." verabschiedet hat. Als wir etwas später in die Hängematte fallen überlegen wir uns, was wir uns für den nächsten Tag vornehmen.

ABSTIMMEN!//

Ruhig liegt die Yara am Steg. Wir sind gerade dabei einzuschlafen, als das leichte Klicken, welches wir innerhalb der Stadt zu hören glaubten lauter wird. Immer und immer lauter wird es, bis wir glauben Vibrationen zu spüren. Es ist als würde uns jemand beständig mit einem kleinen Hammer auf den Kopf schlagen. KLICK KLACK KLICK... Wir lassen uns aus der Hängematte gleiten und machen uns von der Kajüte aus auf den Weg zum Deck. Es ist kühler geworden, hier draußen. Als wir zur Stadt hinübersehen bemerken wir ein hellblaues Leuchten. Es geht von den beiden Türmen aus und breitet sich gleichmäßig über die ganze Stadt aus. Immer heller und Heller wird es. Und das ständige Klicken wird lauter. KLICK KLACK KLICK  KLACK KLICK... Gespannt beobachten wir das Geschehen, sehen wie der Lichtschein das Wasser vor der Yara erreicht und dann an der Bordkante hinaufkriecht. Wir treten unwillkürlich einen Schritt zurück. Doch dann hat das Licht auch schon unsere Füße erreicht, überspült uns und rinnt hinaus auf das Meer. Weit entfernt wandert es plötzlich am Horizont hinauf um dann, nach einigen Minuten, über unserem Kopf wieder zusammenzufließen. Wir befinden uns nun in einer hellblau beleuchteten Kuppel. Dann ebbt das Klicken an und das Licht ermattet. Nur am Horizont bleibt ein kleiner blauer Streifen zurück. Ein durch und durch magischer Ort, denken wir und kehren zu unserem Schlafplatz zurück. Hoffentlich taucht bald Erkim wieder auf, damit wir ihn nach einer Erklärung für dieses Phänomen fragen können. 

Reise nach Maĩkon III


 
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Der Sturm legt einen außergewöhnlich brutalen Start hin. Wir werden hin- und hergeschleudert, die Segel, die wir nicht rechtzeitig reffen reißen. Die Yara krächzt wie ein altes Weib und sehen wir uns um, erblicken wir nur das tosende Meer oder vor Schreck verzogene Gesichter. Nur Erkim wirkt gelassen. Einmal glauben wir ihn sogar mitten im Getöse in einer Hängematte schaukeln zu sehen, doch wir müssen uns verguckt haben. Dann beginnt es zu blitzen und zu donnern. Das Wasser leuchtet gelegentlich grell auf und wir erkennen schwarfe Konturen von riesigen Wellen. "Was für ein Hecht!", gröhlt Erkim uns plötzlich an und hält einen Fisch in der Hand. Wir sind zu verwirrt um darauf hinzuweisen, dass Hechte im Süßwasser zuhause sind und er demnach keinen in der Hand haben kann. "Probier doch mal!", schreit Erkim nun. Wir klammern uns verzweifelt an einer Schot fest und erbrechen auf die Planken. Dann neigt sich das gesamte Schiff zur Seite und wir werden am Seil hängend hinaus gezogen aufs Meer. Kurz versinken wir bis zur Hüfte im kalten Wasser, doch da neigt sich die Yara auch schon in die andere Richtung. Als wir über das Deck pendeln, lassen wir los und rollen uns ab. Dann blicken wir hinauf zum Steuer. Dort steht mit eiserner Miene der Verschlossene. Sein Bart weht im Wind, seine Augen blicken grimmig in die Ferne. "Lass das doch die Yara machen!", brüllen wir ihn an. Sicherlich stört er sie nur. "Das kann sie selbst am besten!" Doch der Verschlossene bemerkt uns nicht, so konzentriert ist er. Neben uns taucht wieder Erkim auf. Er hat immer noch den Fisch in der Hand, aber mittlerweile fehlt ihm der Kopf. "Wenn ein starker Zauber auf einen weniger starken trifft...", mampft er. "Dann hebt der starke den kleinen auf." Wir werden gerade auf einem riesigen Schiff, von einer einzigen Person durch den größten Sturm gelenkt den wir jemals erlebten, denken wir und schließen die Augen./

Ewigkeit ist genauso endlich, wie Endlichkeit ewig ist. Ewigkeit dauert nicht lang, sie dauert schlicht und einfach an. Man braucht nicht in die Zukunft blicken um die Ewigkeit zu sehen, ein Blick in die Vergangenheit tut es genauso. Wenn man sich nun bewusst macht, wie kurz das eigene Leben im Vergleich ist, darf man nicht vergessen, dass die Ewigkeit nichts ist, woran man die Messlatte legen sollte, denn es gibt keine ausreichend lange. Sie Umfasst alles und ist die Grundlage für alle Endlichkeit. Die Frage, ob die Ewigkeit die man sieht, wenn man in die Vergangenheit blickt, oder die andere, wenn man in die Zukunft blickt, länger ist, braucht man sich garnicht zu erst zu stellen. Sie ist in beide Richtungen länger und kürzer und gleichlang zugleich. Das reicht. Derartiges Nachdenken über solche Themen belastet unseren Kopf sowieso viel zu sehr. Wie kamen wir überhaupt auf das Thema? ...Achja. Wir treiben irgendwo in unbestimmer Materie, ohne Zeitgefühl, ohne Orientierung. Wie kommen wir hierhin? Wir wissen es nicht. Da ist kein Anhaltspunkt... Nichts.

Kapeng! Da stehen wir - mitten auf dem Deck. "Siehst du sie?", fragt Erkim.
Und wie wir sie sehen!

Im roten Licht der untergehenden Sonne erkennen wir die schwimmende Stadt. Das Meer ist ruhig und der Himmel ist von einigen Wolken abgesehen klar. Auf Flößen, die das zehnfache an Fläche haben, wie die Yara stehen Hütten und Fachwerkhäuser, Kirchen und Schlösser. Da sind kleine Bauten und große und alles überragend zwei Türme. Zahllose Schiffe sind an den hölzernen Ebenen festgemacht, vor allem kleine, aber auch ganz große. „In den Kanälen“, beginnt Erkim zu sprechen „werden an Stricken Flöße hin und hergezogen. Man kann darauf mitreisen, Marktware verschicken oder sich welche schicken lassen, die ganze Stadt funktioniert auf diese Art und Weise. Ihr werdet überrascht sein. Lasst uns einen guten Liegeplatz suchen.“ Wir sind gespannt. Können es kaum erwarten, die Stadt zu besuchen und bemerken, dass es den anderen genauso geht...

Reise nach Maĩkon II

 
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Tausend Sterne leuchten über dem Ozean. Vergeblich suchen wir nach einem Sturm, um genau zu sein kommen wir noch nicht einmal voran. Seit zwei Tagen sind wir bereits wieder auf See und können noch immer das Fischerdorf riechen. "Beschissene Flaute", murmelt der Verschlossene neben uns in seinen Bart. Müde liegen wir in der Hängematte und sind dazu verdammt vor uns hin zu träumen. Da vernehmen wir ein lautes Krachen. Erschrocken stürzen wir aus der Hängematte und stoßen uns das Auge am Knie. "Gottverdammte...", beginnen wir, aber da verschlägt es uns auch schon die Sprache. Eines der Fässer, die auf dem Deck stehen, damit wir für einen Schluck vom frisch geladenen Rum nicht so weit laufen müssen, setzt sich in Bewegung. Es fängt an zu kippeln und aus dem Fass dröhnen seltsame Geräusche. Ein wildes Tier! Es muss ein wildes Tier sein, denken wir und da kippt das Fass auch schon zu Seite und kommt auf uns zugerollt. Eilig krabbeln wir, da wir kein anderes Versteck finden, wieder in unsere Hängematte. Und direkt unter uns kommt das Rum-Fass zum stehen. Ein Schnauben ertönt, dann reißt sich das Tier von seinen hölzernen Fesseln los und rennt heulend und jaulend über das Deck. Holzsplitter regnen auf uns herab. Als wir den Kopf heben, bemerken wir, dass auch die Versunkene und der Verschlossene Zuflucht gesucht haben. Der Verschlossene hat sich in die Luke zum Frachtraum geworfen und schaut nun mit großen Augen heraus und die Versunkene hängt irgendwo hoch oben im Mastkorb. "Heiliger Mist.", murmeln wir und beobachten das Wesen, welches allzu menschlich aussieht. Es steht an der Reeling und gibt ein erleichtertes Seufzen von sich, während es leise plätschert. /

"Boa.", gibt das Wesen von sich. Dann dreht es sich herum und ein großer bärtiger Mann wird erkennbar. "He!", brüllt der Verschlossene. "Was hast du hier verloren?" Der Mann ist erschrocken. er blickt sich um, anscheinend, kann er keinen von uns in der Dunkelheit erkennen. "Wer ist da?", ruft er zurück. "Ich bin...", fängt der Verschlossene an. "...der Kapitän dieses Schiffes und ich kann mich nicht erinnern dich wissentlich mit an Bord genommen zu haben." Wir schauen dem Geschehen erschrocken zu. Aus der Dunkelheit kommt der Verschlossene gehumpelt. Der Mann beginnt zu lachen. "Dir fehlt ja ein Bein!", kichert er hysterischer als wir es einem solchen Koloss zugetraut hätten. "Schonmal an einen Ersatz gedacht?" Dem Verschlossenen platzt jetzt völlig der Kragen. "Es sieht so aus, als würdest du hier und jetzt von Bord gehen müssen." "Halt ein!", antwortet der Unbekannte, als er seine Fassung wiedererlangt. "Ich bin nur ein unwichtiger Nebencharakter. Nichts, was man weiter beachten sollte." Vielleicht ist er Schauspieler, denken wir. Wie sonst sollte er darauf kommen sich als unwichtigen Nebencharakter zu betiteln? "Ich bin Schauspieler." Der Verschlossene versucht sich ebenfalls zu beruhigen. "Und was hast du hier verloren?" Der Schauspieler zögert einen Moment. "Nun ja... eigentlich wollte ich nicht hier sein. Ich wollte unbemerkt auf einem Frachtschiff mitreisen. Ich möchte nach Gråstad." Nun ist der Verschlossene an der Reihe zu lachen. "Gråstad? Das liegt nun nicht so wirklich auf unserem Weg." Der Unbekannte nickt. "Hab schon bemerkt. Eigentlich sollte mein Fass schon lange im Lagerhaus stehen. Wohin ist denn dieses Schiff unterwegs?" "Nach Maĩkon." Dem Fremden verschlägt es die Sprache.
Es dauert eine Weile bis er sie wiederfindet. "Wenn dem so ist, dann möchte ich mich euch gern anschließen. Ich habe dort noch einiges zu erledigen." Wir staunen. Offensichtlich treffen wir schon wieder jemanden, der die schwimmende Stadt nicht nur für ein Gerücht hält. Der Verschlossene zögert. "Ich bin Erkim, wenn ich mich vorstellen darf. Schauspieler, wie ich bereits sagte und sicherlich auch ein guter Segler." Der Verschlossene nickt vorsichtig. "Weißt du, wie man die Stadt finden kann?" Erkim lacht wieder, allerdings ist es diesmal eher ein rhythmisches Brummen. "Niemand kann das wirklich von sich behaupten. Aber ich weiß, dass wir die Stadt womöglich finden können." "So willst du uns nach all deinen Möglichkeiten unterstützen?" Erkim nickt. "Darf ich den Rest der Mannschaft sehen? Wir benötigen viel Manneskraft um dieses Schiff durch den großen Wind zu steuern." "Der große Wind?", fragt der Verschlossene. Erkim antwortet nicht. Wir nutzen die Pause um aus dem Schatten zu treten. "Außer uns ist noch eine weitere Person an Bord. Reicht das aus?" Erkim schaut erschrocken zu uns herüber. "Niemals! Wie habt ihr ein solch großes Schiff zu dritt nur aus dem Hafen steuern können?" Wir grinsen. Anscheinend hat sich der Schauspieler noch nicht so genau umgesehen. "Was würdest du sagen, wenn ich sagte, dass es sich bei diesem Schiff um die Yara handelte?", raunt der Verschlossene dem blinden Passagier ebenfalls grinsend zu. Erkim setzt sich mit geöffnetem Mund auf die Planken. Einige Zeit blickt er um sich und atmet schwer. Als er ausreichend Luft geholt hat, antwortet er. "In diesem Fall haben wir nicht das geringste Problem."

Den Rest des abends verbringen wir redend auf dem Deck. Eine alte Petroleum-Lampe spendet lebendiges Licht und zum ersten Mal seit langem haben wir wieder das Gefühl, dass sich die Stimmung wirklich hebt. "
Wir treiben hier wahrscheinlich schon seit Tagen auf der gleichen Stelle, habe ich recht?", spricht Erkim. Wir nicken alle wie auf Kommando. "Das wundert mich nicht. Lasst mich euch eine Geschichte erzählen." Wir machen es uns gemütlich um der Erzählung zu lauschen.//

"Es war ein Land, das im Meer versank, welches Maĩkons Grundstein legte. Das Meer war damals besonders tobend und alles was Festland war, alles was einen Anker hatte, wurde überspült. Darunter auch der Kontinent Mukur. Und alles Leben wurde ausgelöscht, auf diesem Kontinent, bis auf das einiger weniger Menschen. Diese hatten, die Flut kommen sehen. Nicht metaphorisch, sondern tatsächlich. Von weitem. Einer von ihnen war Holzfäller und einer Zimmermann. Einer war Schiffsbauer und es waren diese drei, die in windeseile Bäume fällten, sägten und in wenigen Minuten aus dem Nichts ein Boot erschufen. Kaum waren sie fertig, kaum saßen sie in der provisorischen Zuflucht, als sie auch schon vom Meer überrollt wurden. Außer ihnen waren ihre jeweiligen Frauen und einige Kinder auf dem Boot und von einem ihrer Jungen abgesehen überlebten sie alle. Sie schwammen auf der Oberfläche der schäumenden Massen und sahen tiefunter sich im tiefen Blau ihre Heimat versinken. Zuerst sah es so aus, als würden sie nicht lange leben, ohne Essen ohne Süßwasser ohne alles was man zum leben braucht, doch nach einigen Tagen rissen sich die ersten Bäume aus dem ehemals dicht bewaldeten Landstrich los und trieben herauf. Da begann das große Wachsen. Das Boot wurde ausgebaut, und ausgebaut, Flöße wurden daran festgemacht und bald schon Stand dort ein kleines Haus. Gelegentlich wurden Kisten angespült mit Nahrung  und lebensnotwendigen Rohstoffen und ganz selten auch ein Überlebender oder ein Tier. Und so wuchs die Stadt immer weiter. Als der Meeresspiegel irgendwann wieder sank, beziehungsweise das Universum sich erhob, war die Stadt fertig und immer wieder reisten Fremde dorthin und manche von ihnen blieben."

"Warum ist es denn so schwer die Stadt zu finden?", fragt einer von uns. 

"Die Stadt wurde vor dem Tod des Holzfällers, des Zimmermannes und des Schiffsbauers mit einem Zauber belegt, sodass jeder gleiche Qualen wie die drei erleben muss, bevor er die Stadt erreichen kann. Es war eine Magierin aus der Familie der Sunhít, wenn ich mich recht erinnere. Es soll den Menschen, die zur Stadt reisen zeigen, was die Erbauer geleistet haben. Ich persönlich halte die drei für ziemlich aufgeblasene Herren, wenn sie solche Zauber in Auftrag geben. Und bevor mich wieder jemand unterbricht... Die Stadt kann nicht gefunden werden von denen die sie suchen, denn auch für die Gründer der Stadt war es nicht vorhersehbar, dass sie errettet werden würden."

"Aber wir können sie doch finden? Mit dir?", fragen wir.

"Es gibt einen kleinen Fehler im Zauber. Wer schon da war, findet immer wieder hin, auch wenn er es nicht sagen kann. Nun denn... den Sturm werden wir trotzdem über uns ergehen lassen müssen!" , flüstert Erkim leise.

Kaum hat er geendet, straffen sich auch schon ruckartig die Segel. Die Öllampe verlischt, es beginnt zu regnen.